Das perfekte Winterfahrrad

Welches Fahrrad eignet sich am besten, um damit bei Eis und Schnee auf glatten Straßen sicher unterwegs zu sein? Braucht es überhaupt ein spezielles Winterfahrrad, oder genügen ein paar Anpassungen am vorhandenen Radl? Mehr dazu lest Ihr in diesem Artikel. 

Berghuhn testet
Specialized AWOL mit Winteranpassungen

Transparenzhinweis:

Alle hier vorgestellten Produkte haben wir uns selbst gekauft, somit handelt es sich um unbezahlte Werbung ohne Auftrag. Diese Beschreibung spiegelt wie immer nur unseren persönlichen Eindruck wieder.


Von welcher Art von Wintereinsatz sprechen wir überhaupt?

Wir fahren wirklich sehr gerne Rad, doch bei Temperaturen unter 0°C sind auch wir in der Vergangenheit meist nur auf Kurzstrecken unterwegs gewesen, etwa zur Arbeit. Für mehrstündige Fahrten war es uns schlicht zu kalt. Dank der Corona-Reisebeschränkungen wollten wir zumindest auf unseren Radsport nicht verzichten und Clemens hat die Zeit genutzt, um seine Ausrüstung für den Winter-Radeinsatz ausgiebig zu testen und weiter zu optimieren. Zwei ordentliche Kälteeinbrüche mit viel Schnee und teilweise zweistelligen Minusgraden waren im letzten Winter aus dieser Sicht ausnahmsweise richtig hilfreich. Welche Erkenntnisse wir gewonnen haben, das lest Ihr hier.

Bei unseren Wintertipps zum perfekten Winterfahrrad gehen wir von Fahrten auf schneebedeckten, zum Teil vereisten und zumeist geräumten Straßen aus. 

 

Zum extra Thema Winterkleidung findet Ihr hier unseren ausführlichen Bericht.

Was ist für uns das perfekte Winterfahrrad?

Um es gleich vorab zu sagen, grundsätzlich braucht es kein besonderes Winterfahrrad, um mit Spass selbst bei einstelligen Minusgraden rund 2-3 Stunden unterwegs zu sein. Solange man auf geräumten, schneebedeckten oder zum Teil auch eisigen Straßen unterwegs ist, kann man sein normales Rad verwenden, mit dem man sonst im Sommer unterwegs ist. Wir planen hier keine Arktisexpedition im Tiefschnee mit dem Fatbike! Das Winterfahrrad kann daher vom MTB bis zum Trekkingrad oder Gravelbike reichen. Ein Rennrad wäre hingegen nicht nach unserem Geschmack. Doch welche Kriterien sollte ein perfektes Winterfahrrad aus unserer Sicht erfüllen?

 

Als Winterrad grundsätzlich gut geeignet empfinden wir ein Rad, ...

  • das durch seine Rahmengeometrie einen guten Geradeauslauf hat,
  • mit einem eher trägen Lenkverhalten,
  • einem etwas längeren Radstand,
  • einer entspannten Sitzposition,
  • mit Scheibenbremsen anstelle von Felgenbremsen
  • es sollten sich auch breitere Reifen samt guter Schutzbleche montieren lassen,
  • sowie eine zuverlässige, fest installierte Beleuchtung mit Nabendynamo.

Das hier abgebildete Specialized AWOL erfüllt aus unserer Sicht gleich mehrere dieser Kriterien ziemlich gut. Zugegeben, an der Rahmengeometrie des eigenen Fahrrads lässt sich im Nachhinein nichts ändern, an manchen Anbauteilen hingegen schon. So lässt sich aus so manchem Alltagsrad ein Winterrad machen. Die wichtigsten Anpassungen beschreiben wir jetzt.

Die folgenden Anpassungen am Radl sehen wir als unerlässlich an, will man damit bei Eis und Schnee unterwegs sein :

Spikereifen

Bei Glatteis sind gute Spikereifen die mit Abstand beste Lösung, da nur Spikes ausreichend Grip bieten. Ich verwende auf meinen Rädern schon seit vielen Jahren den Schwalbe Marathon Winter und bin damit sehr zufrieden. Selbst Kurvenfahrten auf blankem Eis sind damit problemlos möglich und durch die spezielle, weichere Gummimischung mit Lamellenprofil krallt sich der Reifen auch auf festgefahrenem Schnee gut in den Untergrund. Dieser Reifen funktioniert am besten auf möglichst festem, ebenem Untergrund. Bei vereisten Spurrillen, holprigem Untergrund, tiefem Schnee oder im Gelände ist aber Schluss. Hier gibt es andere Reifenmodelle, die besser funktionieren, aber auf die ich hier nicht eingehe. Der Pannenschutz ist durch eine extra dicke Pannenschutzeinlage recht hoch, bislang hatte ich noch keinen Platten. Doch dieser Spikereifen hat auch Nachteile. Durch die vielen Spikes und eine entsprechend verstärkte Karkasse ist er deutlich schwerer als ein hochwertiger Tourenreifen in der gleichen Dimension. Das Rad lässt sich spürbar zäher beschleunigen als gewohnt. Außerdem ist der Rollwiderstand auf trockener Fahrbahn deutlich höher und das laute Abrollgeräusch kann nerven. Wenn man nicht auf Schnee oder Eis fährt sondern auf Asphalt, dann verschleißt der teure Reifen zudem relativ schnell. Man sollte die Reifen auch öfter auf Beschädigungen kontrollieren und feinen Split, der sich im Profil oder zwischen den Spikes und dem Gummi festsetzen kann, entfernen.

Schutzbleche

Gerade bei Streusalz, Salzwasser und Schneematsch sind gute, lange Schutzbleche hilfreich, gerne auch mit einer zusätzlichen Schutzblechverlängerung vorne und hinten. Das schützt nicht nur den Radler vor Dreck, sondern auch das Rad selbst vor unnötigem Verschleiß. Allerdings sollte der Abstand zwischen Reifen und Schutzblech üppig sein, damit sich Schnee und Matsch nicht dazwischen festsetzen kann. Mir ist mal mein Rad während der Fahrt eingefroren, bis beide Reifen blockiert haben und keine Weiterfahrt mehr möglich war, einfach weil der Abstand zu gering war und eine Schicht Schneematsch zwischen Reifen und Schutzblech eingefroren ist.

Ich empfehle daher einen Abstand von mindestens 2-3 cm. Das reicht aus, dass man bequem einen Finger zwischen Reifen und Schutzblech bekommt. Idealerweise kann man die Position des Schutzblechs anpassen um diesen Abstand herzustellen. Bei dem hier abgebildeten AWOL geht das leider nicht, daher fahre ich einfach einen etwas schmaleren Spikereifen, verglichen mit der normalen Sommerbereifung. Der Nachteil dieser Variante ist, dass man bei holprigem, vereistem Untergrund oder Spurrillen schneller ans Limit kommt als mit breiteren Reifen.

Licht und Reflektoren

Bei der Beleuchtung darf man nicht sparen, gerade wenn man bei Dunkelheit im Straßenverkehr unterwegs ist. Ich fahre bei trübem Wetter auch bei Tag mit Licht, um besser gesehen zu werden. Ich verwende an meinem Rad eine hochwertige, fest installierte Beleuchtung mit einem sehr guten Nabendynamo und einer solider Verkabelung. Das hat den großen Vorteil, dass die Beleuchtung immer funktioniert, auch bei langen Nachtfahrten und bei Kälte. Die meisten Batterien von Akkuleuchten mögen keine Kälte und die Leuchtdauer verkürzt sich gegenüber dem Einsatz bei milden Temperaturen spürbar. Je kälter es ist, desto schneller sind die Akkus leer. Von den alten Seitenläufer-Fahrraddynamos rate ich komplett ab. Bei Nässe und vor allem bei Frost sind sie mir in der Vergangenheit schon zu oft ausgefallen.

 

 

Reflektoren erhöhen im Straßenverkehr die eigene Sichtbarkeit gerade in der kalten, dunklen Jahreszeit deutlich. Je mehr man davon am Rad und auch an der Kleidung hat, desto besser!

Scheibenbremsen

Bei Eis, Schnee und Minusgraden kommen Felgenbremsen ans Limit. Zum Ersten verschleißen die Bremsflanken der Felgen bei Nässe und Schmutz ungleich stärker als bei Trockenheit und der Bremsweg wird meist deutlich länger. Zum Zweiten kann sich während der Fahrt bei Minusgraden auf den Bremsflanken der Felgen Eis bilden. Dann ist die Bremsleistung nahezu Null, was gefährlich werden kann. Das habe ich selbst ein paar Mal erlebt und konnte jedesmal nur mit großer Mühe abbremsen. Die Ursache ist ganz banal. Bremst man bei Schnee und Kälte, dann werden die Felgen warm, aufgewirbelter Schnee kommt auf die Felge und taut, es bildet sich Wasser, die Felge kühlt durch den Fahrtwind schnell ab und es bildet sich ein Eisfilm. 

Zum Glück sind heute so gut wie alle neuen Fahrräder automatisch mit Scheibenbremsen ausgestattet, so dass dieser Punkt nur selten relevant wird. Aus unserer Erfahrung sind Dosierbarkeit und Bremsleistung von hydraulischen Scheibenbremsen meist deutlich besser als bei mechanischen, doch dafür sind die mechanischen leicht selbst zu warten. Für den Wintereinsatz funktionieren aber beide Bremstypen. 

Wenn die Zughüllen bei mechanischen Bremsen durchgängig sind, so dass Schmutz und Wasser kaum eindringen können, dann funktionieren sie selbst im Winter sehr zuverlässig.

Zweitrad für den Winter

Wer die elegante Möglichkeit hat, der kann sich natürlich ein extra Fahrrad nur für den Wintereinsatz ausrüsten. So kann man je nach Bedarf immer das passende Fahrrad verwenden und muss nicht erst die Reifen wechseln oder Schutzbleche und ein Licht installieren. Zugleich schont man das Sommer-Rad vor dem aggressiven Streusalz und Split.

Radpflege

Ohne eine regelmäßige Radpflege läuft im Winter gar nichts. Das gilt im Straßenverkehr genauso wie im - hier nicht betrachteten - offroad-Einsatz. Gegen das aggressive Streusalz und den Schmutz hilft am besten eine regelmäßige Radwäsche mit warmem Wasser, Schwamm und einem Tropfen Haushalts-Spülmittel. Mehr zum Thema Radpflege haben wir hier ausführlich beschrieben.

Idealerweise kann das Rad nach einer Tour bei sehr frostigen Temperaturen anschließend an einem Ort mit Temperaturen oberhalb des Gefrierpunkts wieder auftauen und trocknen lassen, damit sich Eis und Schnee lösen und auch die Schalt- und Bremszüge wieder leichtgängig werden. Der Antriebsstrang - v.a. die Kette - muss besonders häufig geputzt und neu geölt werden.

Tipps die ich persönlich nicht sinnvoll finde

  • Manche raten dazu im Winter ohne Klickpedale zu fahren und den Sattel absenken, damit man mit den Schuhen schneller auf den Boden kommt, wenn man wegrutscht. Beide Ideen finde ich im Regelfall als unnötig. Die Ergonomie beim Fahren leidet für meinen Geschmack einfach zu sehr, gerade wenn der Sattel zu niedrig ist. Klickpedale verwende ich auch im Winter, da man so ergonomischer treten kann. Nur wenn der Untergrund gerade sehr holprig ist, etwa mit vereisten Spurrillen, dann fahre ich lieber mit der Plattformseite meines Kombipedals.
  • Auch der Tipp, den Luftdruck in den normalen Reifen weiter abzusenken als normal, bringt vielleicht auf Schnee etwas mehr Traktion, bei Glatteis hilft das gar nichts. Außerdem besteht die Gefahr, dass man bei zu wenig Luftdruck einen Durchschlag bekommt und einen Platten hat. Eine Reifenpanne ist im Winter bei tiefen Temperaturen besonders ärgerlich. Besser sind hier Spikereifen (siehe oben).

Mein Fazit zum Winterradfahren

Radfahren kann sogar bei frostigen Temperaturen richtig Spaß machen, solange man die passende Kleidung verwendet und bereit ist, ein paar Anpassungen an seinem Fahrrad vorzunehmen. So hat man selbst in der dunklen und kalten Jahreszeit mehr Bewegung an der frischen Luft. Allerdings wird man deutlich langsamer unterwegs sein als gewohnt, was etwas Eingewöhnung braucht. Natürlich hat das Vergnügen auch seinen Preis, doch wenn man sich dafür das Ticket für den ÖPNV sparen oder auf das Auto verzichten kann, relativieren sich die Kosten wieder. Manchmal muss man auch nur den inneren Schweinehund überwinden und es ausprobieren. Nicht immer ist es im Winter nur nasskalt und dunkel, manchmal scheint auch die Sonne. An einem schönen Wintertag auf stillen Wegen durch eine verschneite Landschaft zu radeln, während der Schnee glitzert, ist ein tolles Erlebnis!

Video zum Winterfahrrad