Bikepacking Transalp Westalpen

5 Wochen mit dem MTB durch wilde Berge

Teil 2/2

In Teil 1 unserer Bikepacking Transalp Westalpen sind wir von Lindau aus durch die Schweiz gefahren und haben auf einem Teilstück der Tour du Mont-Blanc die Grenze nach Italien überquert. Über die Grüne Grenze ging's zurück nach Frankreich und schließlich über den Col du Mont Cenis nach Susa in Italien. Hier wurde unsere Tour abrupt durch einen technischen Defekt an Clemens`Rad gestoppt, was beinahe das Aus unserer gesamten Transalp gewesen wäre. Wie unsere Tour ab Turin weiterlief das lest Ihr jetzt, viel Spass dabei!

Die Strecke im Überblick

rot = gefahrene Strecke, blau = Transfer mit dem Zug, Gesamtstrecke: ca. 1600 km, 31.000 hm
Übersichtskarte der Route (Quelle: Komoot)

Legende:

rot = gefahrene Strecke, blau = Transfer mit dem Zug

Gesamtstrecke: ca. 1600 km, 31.000 hm

Die GPX-Tourdaten findet Ihr jeweils am Ende der einzelnen Teile.

Teil 4 - Cottische Alpen

Nach der rasanten und langen Abfahrt vom Col du Mont Cenis nach Susa empfing uns im Talboden eine schwül-heiße Luft und wir hatten eine Pause nötig. Doch bereits auf den letzten Kilometern bemerkten wir ein zunehmend lautes und metallisches Knacken an Clemens` Hinterradnabe. Wir steuerten einen gutsortierten Radladen in Susa an und wurden enttäuscht. Für eine Reparatur fehlten die passenden Ersatzteile, so dass wir uns dazu entschieden, weiter talauswärts zum nächstmöglichen Campingplatz zu fahren, um am kommenden Tag unser Glück bei einem der Radläden in Turin zu versuchen. Das kann ja nicht so schwer sein, dachten wir uns.

Wir starteten am kommenden Morgen zeitig, um noch möglichst vor der Mittagspause ein Geschäft für die Reparatur zu finden. Die Strecke nach Turin verlief auf kleinen Straßen und ein paar Radwegen und war überraschend schön, fast als wollte sie uns ein wenig für den erzwungenen Umweg entschädigen. Turin als Stadt ist war zwar schön, doch in der schwülen Sommerhitze mit dem ganzen Gepäck stundenlang im Verkehr durch eine Großstadt zu radeln und dabei von einem verschlossenen Radgeschäft zum nächsten zu fahren war ermüdend. Es war August und damit Urlaubszeit, viele Geschäfte hatten geschlossen, doch davon stand auf den Webseiten der Geschäfte leider nichts. Ob ein Radladen tatsächlich geöffnet war, fanden wir immer erst vor Ort heraus. Letztlich benötigten wir drei Anläufe und einen halben Tag, bis wir ein passendes Geschäft mit einer Werkstatt fanden. Endlich war das Rad wieder fit und nach einer Übernachtung in einem B&B in Turin gönnten wir uns am darauffolgenden Tag die überfällige Pause zur Regeneration. Der ruhige Tag tat uns gut, denn das nächste Offroad-Highlight unserer Tour stand an, der Colle delle Finestre mit der Strada del Assietta, einer ehemaligen Militärstraße aus dem 1.Weltkrieg.

Plakat im Anstieg zum Colle delle Finistre, 2178 m
Plakat im Anstieg zum Colle delle Finistre, 2178 m

Wir brachen früh am Morgen von unserem Zeltplatz im Tal nahe Bruzolo auf und planten den langen Anstieg zum Colle delle Finestre auf 2178m bis zum Mittag zu schaffen, denn danach waren Gewitter und Regen vorhergesagt. Die Auffahrt war rückblickend ein echtes Highlight. Die Straße ist von Beginn an sehr schmal und windet sich wunderschön durch einen schattigen Laub- und später Lärchenwald empor, bis man die letzten Kilometer auf Schotter zurücklegen muss. Nur der Wetterbericht lag daneben, denn bereits am Vormittag begann es zu regnen, erst leicht, später stärker und auch der Wind lebte auf. Auf der Passhöhe zogen Wolken durch und ein kalter Wind von 9°C blies uns den Sprühregen ins Gesicht. Weiter im Westen konnten wir die bereits seit ein paar Tagen angekündigte dunkle Kaltfront mit Gewitterwolken auf uns zuziehen sehen. Das sah nicht gut aus und auch am folgenden Tag sollte es laut der Wetterprognose nass und windig bleiben. So entschieden wir uns, die hier beginnende Strada del Assietta auszulassen, denn auf dieser Kammstraße hätten wir, ohne jeden Schutz, noch rund 30 km in einer Höhe bis rund 2300 m mit vielen zusätzlichen Höhenmetern bis Sestriere weiterfahren müssen, oder zwischendurch irgendwo zelten. Das erschien uns zu riskant. Stattdessen rollten wir auf der anderen Seite bergab zum ersten Talort nach Fenestrelle und zurück in die Wärme.

Der kommende Tag begann sonniger als vorhergesagt, doch der Wind blies selbst im Tal noch kräftig, so dass wir unsere gestrige Entscheidung, die Route etwas anzupassen, nicht bereuten. Wir folgten der Hauptstraße bis kurz vor Sestriere, wo wir auf dem Zeltplatz übernachten wollten. Doch der war voll und so fuhren wir notgedrungen weiter bergauf bis Sestriere auf 2000 m. Wir machten eine Pause, stockten unseren Proviant auf und fuhren von dort kilometerlang bergab ins nächste Tal um dort zu campen. Doch dort bot sich kein Zeltplatz an, also fuhren wir den nächsten langen Offroad-Anstieg hinauf zum Rifugio Capanna Mautino auf 2120 m. Eine derart lange Etappe hatten wir wahrlich nicht geplant. Doch wir wurden für unsere Anstrengungen mit einer der schönsten Übernachtungen bislang belohnt, denn nach etwas Überzeugungsarbeit durften wir neben dem Rifugio unser Zelt aufschlagen und konnten in der Wärme der Gaststube ein leckeres Abendessen genießen. Was war das für ein krönender Abschluss eines langen Tages. 

Die Nacht war sternenklar und mit rund 5°C richtig kalt gewesen, so dass wir froh um unsere warme Kleidung waren. Nach einem Frühstück auf der Hütte gings noch ein Stück bergauf auf einem Wanderweg und über die grüne Grenze nach Frankreich. Landschaftlich war dieser Abschnitt erneut ein Glanzpunkt und die tolle Abfahrt Richtung Cervière der pure Genuss.

Dort war’s dann mit der Beschaulichkeit und Ruhe des Vormittags vorbei, denn jetzt ging es auf der nächsten asphaltierten Passstraße hinauf zum Col d`Izoard. Neben all den Autos, Motorrädern und Wohnmobilen waren zur Abwechslung aber auch jede Menge Rennradler unterwegs. Kurz vor der Passhöhe warteten sogar zwei Fotografen darauf, die vorbeifahrenden Radler abzulichten. Der Trubel war uns allmählich zu viel, außerdem blies uns der Wind noch immer sehr frisch und lebhaft entgegen, so dass wir die Passhöhe zügig hinter uns ließen und bergab zur Ortschaft Château-Queyras fuhren. Ein Zeltplatz war dort nicht zu finden und der Wetterbericht versprach für den kommenden Tag ab dem frühen Nachmittag erneut schlechtes Wetter und einen Temperatursturz von 10°C. Wir waren zwar müde, doch mitten in den Bergen wollten wir nicht bei Regen und Kälte einen Tag Zwangspause im Zelt einlegen müssen. Also änderten wir erneut unsere Pläne und fuhren weiter ein paar Kilometer bergauf bis zum nächsten Zeltplatz in Pierre Grosse, einer kleinen Ortschaft im Anstieg zum Col d`Agnel. Vom Zeltplatz aus wollten wir am nächsten Tag früh starten, um es noch vor dem Wetterumschwung über die 2744 m hohe Passhöhe und zurück nach Italien bis Sampeyre schaffen.

Die heiße Dusche hatten wir uns an dem Abend redlich verdient und die Nacht war weniger kalt als gedacht. Wir starteten mit einem Regenschauer in den nächsten Morgen und beeilten uns aufzubrechen. Würden wir die Passhöhe rechtzeitig erreichen? Der Anstieg war lang und der Wind legte immer mehr zu, so dass wir nur langsam vorankamen. Kurz vor der Passhöhe zog es dann endgültig zu, Wolken rauschten uns entgegen und es war empfindlich kalt geworden, aber wenigstens noch trocken. Wir hatten es tatsächlich noch rechtzeitig geschafft! 

Warm eingepackt ging es mit minimaler Sicht im Nebel in die steile und kehrenreiche Abfahrt hinunter ins Valle Varaita und Richtung Sampeyre, unserem Tagesziel. Dort kamen wir früh am Tage an, doch es war keine Minute zu früh, denn kaum nachdem wir unser Zelt aufgestellt hatten, zog der erste kräftige Regenschauer durch. Alles hatte geklappt, sogar eingekauft hatten wir bereits im Ort und so freuten wir uns schon auf das Abendessen, eine erholsame Nacht und den morgigen Ruhetag um uns und die Ausrüstung etwas zu pflegen.

Teil 5 - Colle di Sampeyre und Little Peru

Der Ruhetag war perfekt gewählt, denn das Wetter war an dem Tag kalt gewesen. Immer wieder zogen kräftige Schauer durch und in der Nacht goss es wie aus Kübeln, bis sich regelrechte Bäche über den Zeltplatz ergossen. Unser Timing hätte also nicht besser sein können und die Natur konnte das Wasser gut gebrauchen.

Als wir am kommenden Tag starteten, war die Luft klar und kühl, und an den hohen Berggipfeln zogen nur ein paar harmlose Wolken vorbei. Die höchsten Gipfel waren sogar weiß, hier hatte es gestern tatsächlich geschneit! Die Auffahrt zum Colle di Sampeyre auf 2284m war landschaftlich sehr schön und dank des geringen Verkehrs angenehm zu fahren. Nach dem obligatorischen Gipfelfoto begaben wir uns auf die lange Abfahrt ins Valle Maira, die auf ebenso schönen und kleinen Asphaltstraßen verlief, wie die Auffahrt. Im Tal nutzten wir noch die einzige Einkaufsmöglichkeit in einem kleinen Alimentari, um den letzten Proviant für den Abend und die kommende Etappe über die Gardetta-Hochebene zu besorgen. 

Die ersten Sonnenstrahlen kamen gerade erst über die Berge, als wir bereits bergauf radelten. Heute würde mit der Gardetta-Hochebene ein weiterer landschaftlicher Glanzpunkt auf uns warten. Seinen Beinamen „Little Peru“ hat dieses hochgelegene Bergplateau wegen zahlreicher Gipfel und Almflächen, die optisch an das Hochland in den peruanischen Anden erinnern. Doch bis dahin wartete ein langer und teils extrem steiler Anstieg auf uns. Kurz nach der Ortschaft Ponte Marmora zweigte die schmale Asphaltstraße Richtung Marmora und Colle del Preit ab. Die Route verlief erst durch ein enges Tal und ab der Ortschaft Canosio begannen die steilen Rampen mit 16 % und mehr. Die Aussicht wurde dafür mit jedem Meter besser und zum Glück war die Strecke bereits kurz nach Canosio für den motorisierten Verkehr gesperrt. Wir genossen die Ruhe der Berge und kämpften uns in der sommerlichen Hitze die letzten Kehren bergauf, bis wir am Colle del Preit auf 2040 m das Ende der Asphaltstraße und den Beginn der Gardetta-Hochebene erreicht hatten. Die Steigungen wurden endlich deutlich flacher und wir blickten auf eine wunderschöne Bergwelt.

Die teilweise grobe Schotterpiste war zwar anstrengend zu fahren, doch dafür wurde das Panorama mit jedem Meter besser. Wir blickten in allen Himmelsrichtungen auf hohe, felsige Berggipfel mit schroffen Hängen und weite grüne Almwiesen. Die Luft war klar und frisch, am tiefblauen Himmel gab`s nur ein paar harmlose Quellwolken und das Licht- und Schattenspiel beleuchtete die Szenerie fast schon dramatisch, wie auf einer Theaterbühne. Wir waren begeistert! Rund 15 km fuhren wir durch diese wilde Landschaft auf einer ehemaligen Militärstraße, bis wir am Colle Valcavera auf 2480 m wieder auf Asphalt stießen. Die jetzt folgende Abfahrt darf man zu Recht als episch bezeichnen. Vom Pass geht es fast ohne Gegenanstieg auf einer kleinen, zum Teil extrem schmalen Asphaltstraße durch eine wunderschöne Alm- und Berglandschaft hinab auf 800 m in die Kleinstadt Demonte, im Valle Stura. Nach der Stille der Berge wirkte der dichte Verkehr im Tal auf uns besonders extrem. Wir fuhren noch ein Stück weiter und erreichten in der Abendsonne etwas abseits der Hauptstraße einen schattig gelegenen Zeltplatz.

Nach einer ruhigen Nacht ging’s am nächsten Tag sehr entspannt auf überwiegend kleinen Nebenstraßen und Radwegen weiter bergab bis Cuneo, wo wir uns nach den Anstrengungen der letzten Etappen eine Nacht im Hotel gönnten.

Teil 6 - Via del Sale und Ligurien

Via del Sale
Via del Sale

Am folgenden Morgen genossen wir das reichhaltige Frühstücksbuffet und starteten zeitig, denn heute stand eine harte Etappe auf dem Plan. Wir wollten von Cuneo bis hinauf auf die Ligurische Grenzkammstraße, auch Via del Sale genannt, fahren. Das ist eine ehemalige Militärpiste aus dem 1. Weltkrieg, die für mehr als 30 km im Zickzack entlang der Bergkämme an der italienisch-französischen Grenze verläuft. Das Wetter sah gut aus und zu Beginn nach Cuneo ging es flott voran durch die Ebene, bis wir die Straße in den Parco Naturale del Marguareis erreichten. Die Steigungen nahmen allmählich zu und beim Rifugio Pian del Gorre auf rund 1000 m begann der spannende Teil der Auffahrt. 

Die Asphaltstraße wurde zu einem alten Saumweg, der zwar steil aber meist fahrbar und schön angelegt durch einen dichten Wald in die Höhe führt. Etwas unterhalb des Passo del Duca war dann wieder Schieben angesagt, doch der Ausblick von diesem Pass entlohnte für die Anstrengungen. Der Blick reichte bis weit zurück nach Nordosten in die Poebene und vor uns lag eine schöne, kurze Trailabfahrt, bis der finale Anstieg hinauf zum Colla Piana (2285 m) und der Grenze zu Frankreich begann. Die Landschaft sah wild und ursprünglich aus, auf den Wiesen grasten friedlich Kühe, während sich über den Gipfeln ein paar dunkle Wolken zusammenzogen. Wir fuhren und schoben auf dem Wanderweg weiter bergauf, bis der Trail kurz vor der Passhöhe wieder zu einem tollen und sogar fahrbaren Saumpfad wurde. Wir hatten Glück, ein großer Regenschauer zog an uns vorbei und so konnten wir die Nachmittagsstimmung auf der Passhöhe voll genießen. Etwas unterhalb konnten wir schon die Via del Sale erkennen, doch weit und breit war darauf kein Fahrzeug zu sehen. Zum Glück ist die Strecke für den motorisierten Verkehr nachts gesperrt und so konnten wir die letzten Kilometer bis zum Rifugio Don Barbera in der friedlichen Abendstimmung voll genießen. 

Dort angekommen war’s dann schlagartig vorbei mit der Ruhe. Eine große Wandergruppe hielt sich bei der Hütte auf und in der Gaststube herrschte eine Bierzeltstimmung wie auf dem Oktoberfest. Was für ein krasser Gegensatz nach dem ruhigen Tag in der Natur. Das Essen auf der Hütte schmeckte uns nach der harten Auffahrt dafür umso besser, doch wir waren froh, als wir wenig später in unser Zelt schlüpften und wieder mehr Ruhe hatten.

Der nächste Morgen begann fast wolkenlos und mit bester Sicht. Doch diesmal hatten wir es nicht eilig. Nach einem frühen, eher kargen Frühstück auf der Hütte, das primär aus Kaffee und ein paar Keksen bestand, ließen wir uns Zeit, bis die Wanderergruppe des Vorabends weitergezogen war und wir in der Morgensonne gemütlich zusammenpackten. Wir würden heute die Via del Sale weiter in Richtung Süden fahren, das Wetter sollte stabil bleiben und die meisten Höhenmeter bergauf hatten wir geschafft. Wir fuhren los, doch die Strecke hatte es in sich. Die Schotterpiste war teilweise in einem schlechten Zustand, es gab Passagen mit losem Geröll und tiefen Spurrinnen, so dass wir insgesamt eher langsam voran kamen. Durch die extreme Dürre in diesem Sommer waren auch die meisten Quellen versiegt, so dass wir an dem Tag viel Wasser mitnehmen mussten. Sogar die Hütte und viele Almen mussten per Tanklaster mit Trinkwasser aus dem Tal versorgt werden.

Stundenlang ging es entlang der Berghänge bergauf und bergab dahin und wir genossen die beeindruckende Aussicht. Am späten Nachmittag folgte schließlich die finale Abfahrt des Tages zu einem kleinen Campingplatz nahe des Colle Langan auf 1100 m. Nach zwei schweißtreibenden Tagen konnten wir uns endlich wieder duschen, unsere Sachen auswaschen und mit einem ersten Blick auf die Küste Liguriens unser Abendessen kochen, während die Sonne hinter den Bergen verschwand. Was für eine Belohnung für einen ohnehin tollen Tag!

Küste von Ligurien im Abendlicht
Küste von Ligurien im Abendlicht

Der nächste Morgen begann wieder mit Sonnenschein und wir freuten uns schon auf die Küste und etwas Herzhaftes zu essen. Bis auf wenige Müsliriegel hatten wir inzwischen sämtliche Essenvorräte aufgebraucht und den letzten Einkauf hatten wir vor zwei Tagen nahe Cuneo gemacht. Entlang von kleinen Bergstraßen ging es zunächst noch durch die Berge, wir genossen die nahezu leeren Straßen, die grünen Buchenwälder und die wunderschönen Blicke, bis plötzlich hinter einer Kurve eine Ziegenherde auftauchte, die im Schatten die Kühle genoss und dabei die komplette Straße blockierte. Wir blieben abrupt stehen und wurden sofort von einem entschlossenen Hirtenhund angeknurrt. Was jetzt, fragten wir uns. Wir standen uns eine ganze Weile gegenüber, auf der einen Seite der Hund und auf der anderen Seite wir, etwas verloren. An ein Weiterfahren war jedenfalls nicht zu denken, denn sobald wir uns nur einen einigen Schritt der gemütlich im Schatten dösenden Herde näherten, sprang der Hirtenhund auf uns zu und fletschte die Zähne. Wir waren etwas ratlos, ein Schäfer war nicht in Sicht und der Hund hörte zwar nach einer Weile auf uns anzubellen, lies uns aber nicht aus den Augen. Wir warteten ab. Der Hund machte einen auf lässig, legte sich vor uns mitten auf die Straße und schloss die Augen. Natürlich beobachtete er uns weiterhin genau. Was waren unsere Optionen? Die Räder durch den angrenzenden Wald zu schieben war keine gute Idee, die Hänge waren zu steil und voller Äste. Wir versuchten unser Glück auf der Straße und gingen in Tippelschritten ein Stück weiter, der Hund sprang wieder auf uns zu, versperrte uns den Weg, wir blieben wieder stehen und warteten minutenlang, bis er sich beruhigte und wieder hinlegte. Das Spiel ging wohl eine halbe Stunde weiter, wir hatten vielleicht 5 Meter geschafft und überlegten ernsthaft, welche Ersatzroute wir fahren könnten, als endlich die Erlösung kam. Ein Rennradler schoss bergab um die Kurve, rief laut, die Ziegen sprangen kinoreif zur Seite, der Wachhund hatte sein neues Opfer entdeckt und setzte zur Attacke an. Jetzt oder nie dachten wir uns und traten in die Pedale bergauf. Wir fuhren so schnell es uns möglich war an der Herde vorbei, während der Hund die Verfolgung des Radlers aufgegeben hatte und wieder zurücklief. Doch diesmal waren wir schneller und hörten nur noch sein Bellen aus der Ferne. Uffz, was für ein Adrenalinschock, wir hatten es geschafft und standen bald an der letzten Passhöhe des Tage vor dem Meer, am Monte Ceppo . 

Von dort wollten wir auf einem Wanderweg bergab fahren, doch nach ein paar Minuten trafen wir erneut auf eine große Schaf- und Ziegenherde  und natürlich auf die obligatorischen Hirtenhunde. Unser Puls schnellte wieder in die Höhe, doch diesmal hatten wir mehr Glück, denn die Hunde beäugten uns zwar kurz, doch stuften uns offenbar nicht als Bedrohung ein. Wir bewegten uns langsam inmitten der Herde auf dem Wanderweg weiter. 

Nach rund einer halben Stunde standen wir dann buchstäblich im Wald. Der anfangs gut erkennbare Weg endete, ein unmarkierter Steig bog steil ins Unterholz ab und unsere geplante Route existierte nur noch auf dem Navi. Wir hatten genug Abenteuer für einen Tag erlebt und entschieden uns, die letzten Kilometer zurück zur Straße zu fahren, um dort der Asphaltstraße bis zur Küste zu folgen. 

Ceriana
Ceriana

Die Abfahrt war lang und schön, in einem pittoresken Ort gönnten wir uns eine Pause in einem Café, bis wir etwas später nahe San Remo auf einen perfekt angelegten Radweg entlang der Küste trafen. Nach den Überraschungen des heutigen Tages waren wir erleichtert und genossen die entspannte Fahrt in Richtung Imperia, wo wir uns einen Zeltplatz am Meer suchten und uns im nächstgelegenen Supermarkt für den Abend eindeckten. 

Hier hätte unsere Tour durch die Westalpen enden können, doch nach den schönen Tagen durch die Natur in den Bergen war die Küste eher ein Schock. Es war laut, voller Touristen, die Luft war schwül-heiß, am Campingplatz wurden wir eher unwillig aufgenommen, nur die Moskitos umschwirrten uns begeistert. So stellt man sich die Ankunft am Meer eher nicht vor. Unser Entschluss stand schnell fest, wir würden ohne Pause gleich am nächsten Tag noch einmal ins Hinterland und in die Berge zurückkehren, denn ein paar Tage hatten wir noch Zeit. Wir wollten auf dem Alta Via dei Monti Liguri, einem Weitwanderweg durch die Berge Liguriens, ein Stück weiter nach Osten fahren, um diese grandiose Tour mit einem würdigeren Ende zu versehen. Wir überbrückten ein paar Kilometer an der überfüllten Küste und fuhren mit dem Zug nach Varazze, dem Küstenort, an dem Clemens beim letzten Mal auf dem Alta Via witterungsbedingt seine Tour abbrechen musste.

Kirche in Varazze
Kirche in Varazze

Als wir dort mittags angekommen waren, brannte die Sonne bei schwülheißen 32°C von einem wolkenlosen Himmel, doch wir waren entschlossen nicht eine zweite Nacht an der überfüllten Küste verbringen zu wollen. Wir starteten auf einer kleinen Asphaltstraße in Richtung Monte Beigua und die Auffahrt war hart. In der prallen Sonne und ohne kühlenden Wind ging es bald steil bergauf, bis die richtigen Rampen von 16% und mehr folgten. Der Schweiß floss bei uns beiden in Strömen, denn wir hatten uns mit Essen für zwei Tage eingedeckt und entsprechend schwer waren die Fahrräder. So kämpften wir uns im kleinsten Berggang stundenlang bergauf. 

Doch die Belohnung folgte, der Verkehr hatte bald nachgelassen und nach einigen hundert Höhenmetern kam endlich etwas Schatten. Die Straße verlief durch herrliche Laubwälder, es war ruhig, die Luft wurde klarer und immer wieder boten sich wunderschöne Ausblicke auf die bewaldeten Berge und das Meer. Der Kontrast zur Küste hätte kaum größer sein können.

Als wir am frühen Abend den Gipfel erreicht hatten, erlebten wir einen unerwarteten Anblick. Statt dem schönen Bergwald waren wir plötzlich von einem Wald aus unzähligen Sendemasten und Antennen umgeben, sogar eine kleine Militärstation war hier vorhanden, so dass wir ohne Pause weiter rollten. Ein paar Minuten später endete die Asphaltstraße und wir landeten am schön gelegenen Rifugio Pratorotondo. Hier gönnten wir uns ein leckeres Abendessen und schlugen nahe der Hütte unser Zelt auf. Die Abendluft war kühl und klar, es wurde ruhig, die Sterne zeigten sich langsam und abgesehen von einer Gruppe von Pfadfindern nebenan waren wir alleine. Was für ein Kontrastprogramm zum Vormittag! Ein leichter Wind blies durch die Blätter der Buchen, ein paar Vögel machten noch Geräusche, wir lagen gemütlich in unseren Schlafsäcken, müde, zufrieden und schliefen bald ein.

Der nächste Morgen begann mit blauem Himmel und Sonnenschein, wir frühstückten am Zelt, tranken auf der Hütte noch einen leckeren Cappuccino und starteten direkt auf dem Alta Via. Statt auf Asphalt ging es auf einem aussichtsreichen Wanderweg auf dem Kamm des Monte Beigua-Massivs weiter. Das Meer funkelte in der Morgensonne und wir tauchten in eine andere Welt ein, noch besser kann ein Tag eigentlich nicht starten, dachten wir uns. Doch nach gerade mal zwei Kilometern war der angenehm fahrbare Teil entlang des Bergrückens vorbei. Unser Weg bog steil in ein Tal ab und schon nach ein paar Metern mussten wir die Räder bergab schieben. Der Trail verlief wunderschön durch einen Laubwald, doch er war überzogen von Stufen und großen Steinen, so dass an Fahren nicht zu denken war.  Doch das sollte erst der Auftakt der vielleicht härtesten Schiebepassage unserer gesamten Tour sein. 

Kaum waren wir in einer Art Talboden angelangt, ging es entlang eines Berghanges wieder genau so steil bergauf. Der Weg wurde zu einem halb zugewachsenen Trampelpfad, teils ging es über große Granitblöcke, teils über Wurzeln und in Serpentinen durchs Unterholz bergauf. Die Sonne brannte inzwischen vom Himmel und der Schweiss floss bei uns beiden in Strömen. Schließlich wurde der Pfad selbst zum Schieben zu steil und wir mussten Teile des Gepäcks von den Rädern nehmen, um überhaupt noch voran zu kommen. Abwechselnd schoben wir die Räder ein Stück weiter und liefen dann zurück, um das Gepäck hinterher zu tragen. Wir kamen nur noch im Schneckentempo voran. Irgendwann standen wir dann tatsächlich wieder oben auf dem Bergrücken, abgekämpft, hungrig, durstig und blickten uns um. Der Beginn dieser unfassbar mühseligen Schiebepassage von etwa zwei Stunden Dauer war vielleicht 1,5 km Luftlinie von uns entfernt und noch gut zu sehen. Wir konnten es selbst kaum glauben, wie fordernd der zurückliegende Abschnitt gewesen war, denn die Landschaft um uns herum auf dem Sattel wirkte wieder harmlos, mit sanften, weiten Wiesenflächen und an den Bergflanken links und rechts davon war ein dichter Laubwald. 

Doch allzu viel Zeit um die Aussicht zu genießen blieb nicht, denn weiter im Westen zogen bereits dunkle Wolken heran und der Wetterbericht hatte für den Nachmittag Regenschauer angekündigt. So ging es nach einer kurzen Brotzeit bald weiter. Wir hatten für heute geplant, das ganze Massiv des Monte Beiguas zu überqueren, um uns danach irgendwo einen Zeltplatz oder eine Hütte zu suchen. Als kürzere Alternative hatten wir uns überlegt auf halbem Weg beim Rifugio Argentea zu übernachten. Nach der fordernden und langen Schiebepassage erschien uns die nahe Hütte als gute Option für die Nacht, anstatt uns komplett zu verausgaben. Sogar der Weg wurde etwas besser und teilweise sogar fahrbar, bis wir am Nachmittag die Hütte erreicht hatten. Doch zu unserer Überraschung war sie geschlossen und das mitten in der Saison.

Der Himmel wurde derweil dunkler, erste Wolken zogen um die umliegenden Berge und so blieb uns keine Wahl, wir mussten weiter. Obwohl jeder von uns mit 3,5 L Wasser gestartet war, drohte es uns bald auszugehen. Der Wasserhahn neben der Hütte war abgedreht und Quellen waren auch keine in Sicht. Inzwischen waren wir mitten in den Wolken und die Sicht war gering, doch zumindest blieb der Weg erkennbar und bis auf ein paar Tropfen fiel auch kein Regen. Teils fahrend, teil schiebend folgten wir dem Trail rund eine Stunde bergauf und bergab, bis die Sicht plötzlich wieder klar war. Unter uns lag ein Haus am Wegesrand und der Pfad war wieder fahrbar. Wenige Minuten später standen wir dann vor dem Haus, das sich als Hotel mit Restaurant entpuppte. Wir waren einfach nur froh, buchten uns spontan ein Zimmer und genossen anschließend die ligurische Küche während es draußen regnete und frisch wurde.

Ausgeschlafen genossen wir am Morgen das überaus reichhaltige Frühstück und machten uns wieder auf den Weg. Das Wetter hatte sich etwas gebessert, auch wenn noch ein paar Wolkenreste um die Gipfel zogen, so sollte es heute erst sonnig und später wieder gewittrig werden. Die heutige Strecke führte uns in einem weiten Bogen durch das Hinterland von Genua, überwiegend auf kleinen Straßen, mit zwei längeren Offroad-Passagen in den Bergen. Verglichen mit dem gestrigen Tag sollte die Strecke heute deutlich einfacher sein, wenigstens auf dem Papier. Wir ließen uns überraschen.

Los gings mit einer flotten Abfahrt auf Asphalt und tollen Blicken auf das Meer, doch schon der erste Offroad-Abschnitt bergauf hinter dem Talort Masone hatte es wieder in sich. Statt einer laut Karte guten Schotterstraße glichen Teile der Strecke einem ausgewaschenen Flussbett. Hier war schon länger kein Fahrzeug mehr gefahren und so hieß es wieder schieben. Es war schwülheiß, fast windstill und wir kamen mal wieder nur sehr langsam voran. Am Himmel türmten sich bereits über den umliegenden Bergen die Wolken zu imposanten Türmen auf und es begann zu donnern. Wir blickten uns um, in der Hoffnung einen Unterstand zu finden, sollte uns eines der Gewitter erwischen. Doch außer Weideflächen, einem sehr lichten Wald und ein paar Schafen in der Ferne war nichts zu sehen. Schafe? Wo Schafe sind sind die Hirtenhunde nicht weit, schoss es uns durch den Kopf. Unser Puls beschleunigte sich, denn in der Ferne hörten wir bereits ein Bellen. Doch zum Glück war der Weg an der Stelle wieder fahrbar und so traten wir an. Wir fuhren so schnell es eben ging, bis wir uns nach der nächsten Kurve etwas sicherer fühlten. Dafür wurde der Weg wieder schlechter, es begann zu tröpfeln und das Donnergrollen wurde von den umliegenden Berghängen reflektiert. Doch außer ein paar kleinen Bäumen gab es hier keinen Schutz vor Regen oder Blitzschlag, also schoben wir weiter. Laut der Karte hätten wir bereits zurück auf Asphalt sein sollen, doch eine Straße, die diesen Namen verdient, war nicht in Sicht. Nach einer Stunde Schieben erreichten wir endlich wieder eine fahrbare Straße und auch das Gewitter war vorbeigezogen, wir waren erleichtert.

Der nächste Anstieg verlief auf einer perfekt asphaltierten Straße, hinauf zu einem Pass mit Blick Richtung Genua. Es war bereits später Nachmittag und obwohl wir hier gerne etwas länger verweilt hätten, drängte allmählich die Zeit, denn unser anvisierter Campingplatz war noch einige Kilometer entfernt. Wir waren wieder auf dem Alta Via gelandet und genossen die schöne Schotterabfahrt hinunter nach Busalla. Als wir dort angekommen waren, verschwand die Sonne bereits hinter den Bergen, so dass wir uns die letzten Kilometer richtig beeilten, den Zeltplatz noch bei Tageslicht zu erreichen. Es dämmerte schon sehr, als wir endlich unser Zelt aufschlagen konnten. Nach der verdienten Dusche und einer großen Portion Nudeln waren wir einfach nur froh, als wir schlafen konnten.

Der nächste Tag begann wieder früh und wir waren voller Vorfreude, denn das war unsere letzte und lange Etappe mit vielen Höhenmetern bis zur Küste. Doch diesmal sollte es keine Überraschungen geben, denn die Strecke war laut Karte komplett asphaltiert. Zunächst wollten wir uns bei einem Alimentari ein zweites Frühstück gönnen, doch dieser existierte nur noch auf einem verwitterten Schild und so fiel das Frühstück flach. Wir fuhren weiter durch den Naturpark Antola auf einer sehr kleinen, holprigen Nebenstraße, bis der Asphalt endete. Fasst hätten wir gelacht, denn der Start des Tages erinnerte uns an die Überraschungen der letzten Etappen. Doch so schlimm wurde es nicht. Es ging ein Stück auf Schotter weiter, die Steigungen nahmen zu und etwas später folgte wieder ein löchriger Asphalt. Uns krachte  langsam der Magen und bis zur Passhöhe war es noch weit, so machten wir an einer Parkbucht Pause und kochten uns eine große Portion Couscous. Gut gestärkt fuhren wir anschließend weiter, der Asphalt wurde besser und wir erreichten die unscheinbare Passhöhe. Wir genossen die Abfahrt nach Torriglia und machten in einer Bar im Zentrum unsere Mittagspause. 

Pentema
Pentema

Ein Blick auf die Route zeigte, dass unser heutiges Tagesziel am Meer noch ein gutes Stück entfernt war und einen längeren Anstieg zum Passo della Scoglina stand ebenfalls noch auf dem Programm. Doch ab jetzt sollte es ausschließlich auf Asphalt weitergehen. Wir fuhren weiter und obwohl wir die Anstrengungen der letzten drei Tage noch spürten, so genossen wir die letzten verkehrsarmen Kilometer durch das Hinterland von Ligurien noch einmal in vollen Zügen. Ein großes Gewitter zog hinter uns vorbei und wir standen schließlich am späten Nachmittag am Passo della Forcella, dem letzten Pass vor der Küste. Von hier ging es 30 Kilometer auf bestem Asphalt bergab zum Meer. Dort gönnten wir uns noch zwei Tage Dolce Vita, holten das verdiente Bad im Meer nach und ließen die letzten vier Wochen unser Bikepackingtour durch den kompletten Westalpenbogen sowie ein gutes Stück auf dem Alta Via in Ligurien noch einmal Revue passieren. 

Unser Fazit

kurz vor der Küste
kurz vor der Küste

Einmal mehr blicken wir auf eine wunderschöne Tour zurück. In „nur“ fünf Wochen erlebten wir mitten in Europa eine extrem vielfältige Landschaft, begegneten netten Menschen und genossen stille Momente - und das mitten in der Urlaubszeit. Wir suchten Ruhe und Entschleunigung in der Natur, ohne eine stressige An- und Abreise und ohne eine lange Planung der Unterkünfte. Wir wollten ohne Zeitdruck einer herausfordernden und spannenden Route folgen, um möglichst jeden Moment genießen zu können. Genau das ist uns am Ende gelungen, was für eine Tour!

Doch Moment mal, auf der Übersichtskarte war unsere Route länger, fehlt hier nicht ein Teil? Richtig, auf unserem Rückweg von der ligurischen Küste haben wir uns Zeit gelassen, doch davon erzählen wir vielleicht ein anderes Mal.

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