TransAlp Ostalpen (TAO)

mit dem Gravelbike in 8 Tagen zum Gardasee und zurück

Lässt sich in nur 8 Tagen mit dem Gravelbike eine landschaftlich abwechslungsreiche, nicht zu technische und dennoch spannende Transalp mit schönen Offroad-Abschnitten fahren? Soviel sei schon verraten, die Tour war klasse, auch wenn sie anders verlief als zunächst gedacht, aber lest selbst!

Schweizer Nationalpark
Schweizer Nationalpark

Intro

Nach unserer epischen Bikepackingtour mit dem MTB durch die Westalpen im letzten Jahr war ich seit Monaten heiß auf eine Fortsetzung in den Ostalpen im Sommer 2023. Ich wollte mit meinem Gravelbike über schöne Pässe auf Asphalt und auch mit ein paar längeren Offroad-Abschnitten durch mehrere Naturparks in einer großen Schleife bis zum Gardasee und über Slowenien wieder zurück fahren. Die Streckenplanung war primär auf eine landschaftlich schöne, technisch nicht zu schwere Tour mit viel Naturerleben in den Bergen ausgerichtet. Außerdem sollte die Tour mit möglichst kurzen Transfers nahe München starten und dort rund 14 Tage später enden. Um möglichst unabhängig von gebuchten Unterkünften unterwegs zu sein, hatte ich - anders als auf meiner letzten Transalp mit dem Gravelbike - diesmal die komplette Campingausrüstung samt Kocher dabei. Alle Vorbereitungen der letzten Wochen waren abgeschlossen und ich war bereit aufzubrechen, doch pünktlich zum geplanten Start der Transalp schlug das Wetter um. Tagelanger Starkregen, Schneefall bis auf 2000 m und in der Folge teils heftige Überschwemmungen in Österreich und Slowenien ließen meine Hoffnung auf eine erfolgreiche Tour mit jedem weiteren Tag des Wartens mehr schwinden. Erst knapp zwei Wochen später, es war bald Mitte August, setzte wieder Sommerwetter ein und ich konnte endlich starten.

Die Strecke im Überblick

Übersichtskarte der Route (Quelle: Komoot)
Übersichtskarte der Route (Quelle: Komoot)

Legende:

rot = gefahrene Strecke, blau = Transfer mit dem Zug

Gesamtstrecke: 745 km und 12.475 hm

Die GPX-Tourdaten findet Ihr am Ende des Artikels.

Fernpass und Inntal

Mit dem Regionalzug ging’s nach Ehrwald-Zugspitzbahnhof in Tirol. Mit dem Blick auf die Zugspitze führte ein schöner Radweg auf Schotterwegen zunächst flach durchs Tal entlang der Loisach nach Biberwier. Hier begann der Anstieg auf einer teilweise etwas rauen, aber ansonsten gut fahrbaren Forststraße hinauf zum Fernpass. Oben angekommen erinnerte eine Tafel an den römischen Ursprung, denn hier verlief einst die Via Claudia Augusta, eine bedeutende alte Handelsroute, die von Donauwörth über die Alpen bis Trento und von dort weiter nach Ostiglia in der Poebene bzw. nach Venedig führte. 

Dieser schweißtreibende Offroad-Abschnitt über den Fernpass lohnte sich jedoch allemal, denn so umgeht man die stark befahrene Fernpass-Bundesstraße und kann die schöne Natur umso mehr genießen. Nach einer spaßigen, teilweise steilen Abfahrt auf einem kurzen Singetrail bis nach Nassereith mit ein paar schönen Ausblicken auf zwei Bergseen folgten ein paar entspannte Kilometer auf Forststraßen und Radwegen bis ins Inntal bei Imst.

Für ein paar Kilometer verlief ab dort der perfekt asphaltierte Innradweg entlang der Autobahn. Auf diesem kurzen Abschnitt war es zwar etwas laut, doch zumindest kam ich flott voran. Mein Tagesziel war ein Zeltplatz nahe Pfunds, kurz vor der Grenze zur Schweiz. Mit etwas Glück erhielt ich noch den letzten freien Platz direkt an einem kleinen See und konnte in der tief stehenden Sonne zu Abend essen. Zufrieden und voller Vorfreude legte ich mich schlafen, denn bereits morgen würde der erste lange Offroad-Abschnitt folgen. Ob sich dieser wirklich mit dem Gravelbike fahren lassen würde, oder doch besser mit dem MTB? Ich war gespannt!

Schweizer Nationalpark & Val Müstair

Die Nacht war ziemlich frisch gewesen und mein Zelt war vom Tau klatschnass, doch als ich mich am frühen Morgen vor dem Zelt streckte, noch bevor die Sonne über die Berghänge kam, war der Himmel bereits wolkenlos und der Wetterbericht versprach 30°C und Sonne satt. Mein Timing hätte für die heutige, lange Etappe mit zwei großen Pässen also kaum besser sein können, denn bei schlechtem Wetter ist dieser Abschnitt nicht zu empfehlen.

Nach einem herzhaften Frühstück schwang ich mich in den Sattel.  Die Route führte moderat ansteigend weiter bergauf, immer entlang des Inns und in die Schweiz. Ich genoss die Blicke auf die umliegenden Berggipfel und die hübschen Ortschaften, bis ich bei Scuol eine Mittagspause im Schatten einlegte. Es war bereits Mittag und die Sonne brannte gnadenlos heiß von einem tiefblauen Himmel, doch die eigentlichen zwei Anstiege sollten erst jetzt folgen. Ein genaues Tagesziel hatte ich nicht, eher die vage Idee in einer langen Etappe zuerst über den Pass da Costainas  (2251 m) und durch den Schweizer Nationalpark bis ins Val Müstair zu fahren. Danach wollte ich noch über einen zweiten Pass, den Dass Radond (2235 m) und weiter bis zum Lago di San Giacomo nach Italien, um mir irgendwo dort ein Plätzchen für die Nacht zu suchen. Beide Pässe verlaufen überwiegend auf teils steilen Schotterstraßen und mein Rad war ordentlich beladen. Hatte ich mir zuviel vorgenommen? 

Egal, ich versuchte mich selbst zu beruhigen, schließlich hatte ich ausreichend Proviant für 1,5 Tage dabei, frisches Quellwasser sollte es auch genug geben und notfalls könnte ich irgendwo zwischendurch mein Zelt aufschlagen. 

Ich fühlte mich nach der Pause im Schatten mit einer ausgiebigen Brotzeit gut erholt und nahm den ersten Anstieg zur Ortschaft S-Charl in Angriff. Der Anstieg startete gleich in Scuol mit ein paar steilen Abschnitten, doch dafür verlief die Straße überwiegend durch einen schönen, schattenspendenden Lärchenwald, was die Hitze etwas erträglicher machte. Nach ein paar Kilometern war ein enges, tiefeingeschnittenes Tal erreicht und eine Hinweistafel warnte davor, bei schlechtem Wetter und aktiviertem Warnlicht weiter zu fahren, da hier immer wieder Erdrutsche oder Muren abgehen können. Doch diese Gefahr bestand heute nicht. 

Die Ausblicke wurden mit jedem Kilometer besser und die Asphaltstraße wechselte zu Schotter. Die Landschaft wirkte wild und unberührt, tosende Bergbäche stürzten sich ins Tal und ich fühlte mich fast wie fernab der Zivilisation. Jedenfalls für ein paar Minuten, denn nach der nächsten Kurve räumten schwere Baumaschinen mit einem ohrenbetäubenden Gepolter die letzten Überreste eines Murenabgangs von der Straße. Vermutlich waren das die Folgen der heftigen Regenfälle der vergangenen Tage gewesen, die Warnhinweise vor Erdrutschen zu Beginn des Tals waren also durchaus berechtigt gewesen.

Etwas später erreichte ich S-Charl, eine herausgeputzte kleine Ortschaft mit einem ziemlich großen Parkplatz. Der war voller Autos und der Ort war voll mit Touristen. Für meinen Geschmack war der Trubel zu viel und so füllte ich nur meine Trinkflaschen an einem Brunnen auf und fuhr bald weiter. Die bislang sehr gut fahrbare Schotterstraße wurde steiler, schmaler und der Untergrund loser. Nach ein paar Minuten waren nur noch wenige Wanderer unterwegs und ich konnte die Natur und die schönen Ausblicke umso mehr genießen. Immer wieder musste ich kurz für ein Foto anhalten, denn neue Motive für geradezu kitschig-schöne Aufnahmen boten sich nach jeder Kurve. Die Nachmittagssonne tauchte die Berge bereits in ein warmes, weiches Licht während ich mit dem Pass da Costainas (2251 m) den ersten Pass des Tages erreicht hatte. Nach einer kurzen Pause um etwas zu Essen ging es auf die Abfahrt und es folgte die erste steile Schiebepassage bergab. Auf losem, steilen Untergrund war die Grenze für mein voll beladenes Gravelbike jedenfalls erreicht. Zum Glück war der Abschnitt nach ein paar hundert Metern geschafft und ich konnte mich wieder in den Sattel schwingen, um durch den zwar touristischen, aber sehr hübschen Ort Lü zu fahren und weiter bergab die letzten Kilometer flott ins Tal zu rollen.

Kaum war der Talboden mit der Hauptstraße erreicht, bog meine Route scharf nach rechts auf die nächste steile Schotterstraße ab. Es war mittlerweile 17:30 Uhr und ich spürte die Anstrengungen des Tages. Doch ich hatte mich entschieden weiter zu fahren, denn auf der italienischen Seite, kurz nach der Grenze, hatte ich von einem schönen Rifugio gelesen. Die Aussicht auf ein leckeres Abendessen auf der Hütte, vielleicht sogar mit einer Dusche erschien mir gerade sehr verlockend und motivierend. Die tiefer stehende Sonne schien durch ein paar harmlose Quellwolken und erzeugte ein wunderbares Licht- und Schattenspiel auf den umgebenden Berghängen, während ich langsam weiter bergauf kurbelte. Jetzt hätte ich gerne mein MTB mit der besseren Übersetzung und den griffigeren Reifen gehabt, denn die Forststraße blieb steil und zuweilen auch holprig und steinig. Mein Verlangen, einfach irgendwo das Zelt aufzuschlagen und den Tag zu beenden wuchs mit jedem Kilometer, doch es half nichts, ich musste weiter fahren, denn hier bot sich kein geeigneter Platz für die Nacht. 

Nach einer ganzen Weile lichtete sich der Wald und ich hatte mit dem Sonnenuntergang ein großes weites Tal und bald darauf den Dass Radond (2234 m), den letzten Pass des Tages, erreicht. Auf den umliegenden Wiesen weideten friedlich ein paar Kühe und zwei junge Wanderer kamen mir grinsend entgegen, offensichtlich hatten sie die Abendstimmung und das beeindruckende Panorama ebenso genossen wie ich und suchten sich jetzt einen Platz für die Nacht.

Ich blickte auf mein Navi und das Höhenprofil, es lagen noch immer einige Kilometer und vor allem auch Höhenmeter bis zur Grenze nach Italien vor mir. Sollte es ab hier nicht nur noch bergab gehen?

Es blieb mir nicht mehr allzu viel Zeit bis zur Dunkelheit, vielleicht eine Stunde, also hieß es ab jetzt Gas geben. Ich zog mir eine Windjacke über und begab mich auf die Abfahrt. Die Schotterpiste war breit, das Gefälle moderat und die umliegenden Berghänge und Gipfel sahen in dem rötlichen Abendlicht einfach nur großartig aus, steil, wild und menschenleer. Schon nach ein paar Minuten bog mein Track von der geradezu perfekten Schotterstraße ab, auf einen holprigen Weg, der bald zu einem wurzeldurchsetzten Singletrail wurde. Bergauf und bergab, entlang von Berghängen, durch Latschengürtel und neben einem rauschenden Gebirgsbach führte der Trail ab jetzt kilometerlang durch ein wildes, zum Teil schmales Tal. Es dämmerte bereits immer mehr, doch obwohl ich keine Ahnung hatte, wie lange ich heute noch unterwegs sein würde, konnte ich den Moment komplett genießen. Ich erlebte einen wunderbaren Moment des Flows. Abwechselnd fahrend und dann für ein paar Meter wieder schiebend bewegte ich mich so schnell voran, wie es der Untergrund gerade noch zuließ, von Müdigkeit keine Spur mehr. Plötzlich erreichte ich eine kleine Lichtung mit einer Bank und einem Schild, die Grenze zu Italien!

Auf dem Weg zum Lago di San Giacomo wird es dunkel
Auf dem Weg zum Lago di San Giacomo wird es dunkel

Der Wanderweg wurde wieder zu einem fahrbaren Schotterweg und ich war sehr erleichtert, den technischen Abschnitt geschafft zu haben. Ich spürte auf einmal wie fordernd die letzten Stunden gewesen waren und musste erst mal etwas essen und trinken, bevor es weiter ging. Auch für die Stirnlampe war es jetzt Zeit, denn es war fast dunkel geworden und ich wollte das nächstgelegene Rifugio erreichen.

Nur noch ein paar nahezu flache Kilometer auf einer fahrbaren Schotterpiste bis zum Lago di San Giacomo lagen vor mir und ich fühlte mich wie beflügelt. Die dunklen Silhouetten der umliegenden Berge wirkten beeindruckend, bereits seit über zwei Stunden hatte ich keinen Menschen mehr gesehen oder gehört, kein Licht einer Hütte erblickt und die ersten Sterne zeigten sich am Himmel. Was für ein großartiger Moment, mitten in der Natur, dachte ich mir. Im Licht der Stirnlampe sah ich ein paar Hirsche vorbeilaufen und wenig später erreichte ich kurz nach 21 Uhr das Rifugio Val Fraele. 

Drinnen war es warm, eine Gruppe Mountainbiker saß bei einem letzten Bier zusammen und aus der Küche roch es verlockend nach Pasta. Der Hüttenwirt begrüßte mich und ich hatte für heute gefühlt den Hauptgewinn gezogen: es gab noch ein letztes freies Zimmer und sogar ein warmes Abendessen. Was für ein Abschluss eines perfekten Tages.

Passo di Gavia

Ich hatte eine ruhige, erholsame Nacht gehabt und traf um 7 Uhr in der Gaststube zum Frühstück die Gäste des Vorabends wieder. Vor dem Fenster zogen ein paar dünne Wolken vorbei und hüllten die gegenüberliegende Bergkette sowie die beiden Stauseen, den Lago di Cancano und den Lago di Giacomo, in ein mystisch wirkendes Licht. Besser kann ein Tag in den Bergen wohl kaum beginnen, dachte ich mir. Nach einem für italienische Verhältnisse überraschend reichhaltigen Frühstück fuhr ich zügig los, um die Morgenstimmung zu genießen. Meine Route führte mich entlang des Stausees auf einer für den Verkehr gesperrten Schotterstraße bis zum Rifugio Monte Scale. Hier war’s dann schlagartig vorbei mit der Ruhe.

Ein geschäftiger Bikeverleih, ein großer Parkplatz voller Autos und ganze Gruppen von Radlern erinnerten eher an den Trubel wie auf einer italienischen Piazza. Dafür war die anstehende Abfahrt auf einer steilen, schmalen Asphaltstraße hinunter nach Bormio prima. Jede Menge Rennradler und Mountainbiker kamen mir entgegen und kämpften sich die steilen Serpentinen bergauf. Flott und mit klasse Ausblicken ging es für mich abwärts, bis ich wenig später bereits im Zentrum stand. Hier kaufte ich ein und machte die erste ausgiebige Brotzeit des Tages im Schatten. Der Ort war hübsch, aber voll mit Touristen, was für ein Unterschied zur letzten Nacht mit der Stille in den Bergen, dachte ich mir.

Ein Blick auf die Uhr erinnerte mich daran, weiter zu fahren. Hier begann der lange Anstieg zum Passo di Gavia, dem mit 2610 m höchsten Punkt meiner gesamten Tour. Auch wenn auf der Passstraße einiges los war, so ist dieser Anstieg nicht ganz so überlaufen wie das nahegelegene Stilfser Joch. Zudem ging es komplett auf Asphalt voran, was verglichen mit den langen Offroad-Passagen des Vortags deutlich besser fahrbar war.

Ich kam gut voran, doch die Hitze des Tages und das Gewicht des beladenen Rades kosteten einiges an Energie, so dass ich froh war, als ich am frühen Nachmittag die Passhöhe erreicht hatte. Ich begab mich auf die spektakuläre Abfahrt auf der Südseite. Steil, meist sehr schmal und oft ohne Leitplanken führt die Trasse über viele Kehren, Kurven und durch ein paar unbeleuchtete, kurze Tunnels entlang der Berghänge bergab. Diese Seite hätte ich jedenfalls nicht bergauf fahren wollen, denn selbst gut trainierte Rennradler ohne Gepäck, die mir entgegen kamen, hatten sichtlich zu kämpfen mit den langen, 16 % steilen Rampen. Im Talort Ponte di Legno herrschte dann der gleiche Trubel wie am Morgen in Bormio. Es war noch früh genug am Nachmittag, also entschied ich mich weiter bis Edolo durchs Tal den Radweg zu nehmen, um dort mein Glück auf dem Zeltplatz zu versuchen. Der Radweg war toll angelegt und landschaftlich sehr abwechslungsreich, doch er war auch voller Fußgänger und Radfahrer, so dass ich ständig abbremsen und ausweichen musste und sich die letzten 20 Kilometer etwas hinzogen. 

Südseite des Passo di Gavia
Südseite des Passo di Gavia

Der Zeltplatz lag etwas oberhalb der Stadt und erneut gab es einen letzten freien Platz. Ich war erleichtert und glücklich nach dem anstrengenden Tag einen Schlafplatz gefunden zu haben. In der Abendstimmung kochte ich mir mein Abendessen mit dem Blick auf Edolo, bis mich ein Donnergrollen aufhorchen liess. Der Himmel hinter mir über den Bergen war bereits ziemlich dunkel geworden, ebenso wie etwas weiter talaufwärts. Es gelang mir gerade noch, fertig zu kochen und mich ins Zelt zu verziehen, als ein kräftiges Gewitter durchzog. Was für ein Timing, denn eigentlich waren für den Tag schon früher Schauer und Gewitter vorhergesagt gewesen.

Auf alten Militärstraßen

Die Nacht war mild gewesen, die Luft am nächsten Morgen war klar und sämtliche Wolken hatten sich wieder verzogen. Ich frühstückte ausgiebig, gönnte mir im Ort noch eine Café samt Cornetto und folgte wie am Vortag dem ausgeschilderten Radweg weiter talabwärts. Rund 40 km Abfahrt bis zum Beginn des nächsten längeren Anstiegs warteten auf mich. Zumindest sah das Höhenprofil meiner Route so aus und ich freute mich auf ein paar lockere Kilometer. 

Der Radweg verlief zwar im Tal, doch immer wieder ging es links und rechts entlang alter, meist asphaltierter Wirtschaftswege teilweise extrem steil bergauf und bergab, so dass ich gefühlt kaum vom Fleck kam. Bei Steigungen von über 20% stieg ich freiwillig vom Rad und schob immer wieder für ein paar Meter.  Kurz überlegte ich, doch auf die Hauptstraße zu wechseln, allerdings war der Verkehr dort extrem dicht, während der Radweg landschaftlich traumhaft schön und ruhig war. Also blieb ich auf dem Radweg. Die Erbauer des Radwegs oder vielleicht ein paar Radsportfans des Giro d`Italia hatten sich einen Scherz erlaubt, denn nach einem weiteren längeren Steilstück stand auf einmal ein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift "Cima Coppi" am Wegesrand. Damit wird bei dem besagtem Radrennen der höchste Pass bezeichnet und die ersten Rennfahrer, die ihn erreichen, erhalten ein Preisgeld. Das gab`s für mich zwar nicht, doch ab jetzt ging es tatsächlich flott und ohne fiese Gegenanstiege deutlich mehr bergab als bergauf.  Erst am Nachmittag erreichte ich schließlich die Ortschaft Breno und damit den Abzweig zum heutigen Anstieg.

Es war brütend heiß und die schmale Straße verlief südseitig, in der prallen Sonne und entlang eines Berghanges bergauf. Ich hatte zu kämpfen und der Schweiß floss in Strömen, als mir allmählich das Wasser ausging. Normalerweise gab es immer irgendwo eine Quelle, doch diesmal nicht. Endlich erreichte ich eine kleine Ortschaft mit einem Brunnen und war sehr erleichtert. Es war mal wieder später Nachmittag geworden und mittlerweile freute ich mich sehr auf eine Dusche, etwas zu essen sowie einen Platz für die Nacht. Doch weit war ich heute noch nicht gefahren, also entschied ich mich, mein Glück etwas weiter oben am Berg zu versuchen. Langsam fuhr ich weiter bergauf, bis nach einer Kurve unvermittelt ein paar Häuser und das Rifugio Bazena auftauchten. Fragen kostet ja nichts, dachte ich mir und erkundigte mich nach einem Platz für die Nacht. Erst hieß es nein, alles sei belegt. Doch ich erkundigte mich, ob ich vielleicht vor der Hütte zelten könnte, nur eine Dusche sei mir wichtig. Es begann eine intensive Diskussion unter den Wirtsleuten und irgendwann mischten sich noch die Bedienungen ein, bis schließlich doch ein letztes freies Zimmer gefunden wurde.

Es dauerte ein wenig, bis an dem Abend alle Gäste im Bett waren, doch dann war die Nacht sehr ruhig. Ich blickte von meinem Bett aus durch das offene Fenster auf den Sternenhimmel und schlief langsam ein. Am kommenden Morgen startete ich nach einem eher spartanischen Frühstück - ein Cappuccino mit zwei Croissants - sehr zeitig. Bis zur nächsten Passhöhe war es nicht mehr weit, außerdem würde dort der dritte längere Offroad-Abschnitt meiner Tour auf einer ehemaligen Militärstraße entlang der Bergkämme beginnen. 

Noch ohne Verkehr fuhr ich los und hörte nur das Bimmeln von Kuhglocken und einer fernen Schafherde, bis bald der Passo di Crocedomini auf 1890 m erreicht war. Hier bog die Route auf eine anfangs sehr grobe Schotterpiste ab, die weiter bergauf führte. Die Sonne leuchtete bereits auf die fernen Berggipfel und die Weitblicke wurden immer besser. Ich verspürte allmählich richtig Hunger und legte meine erste Pause ein, um eine große Portion Nudeln zu kochen. Es war zwar noch früh am Morgen, doch lange würde es sicher nicht so still auf der Strecke bleiben und die Aussicht war einfach zu schön.

Gut gestärkt ging es nach einer Weile weiter, während die Sonne langsam über die Bergkämme kam und angenehm wärmte. Der Verkehr blieb moderat und schließlich ging es kilometerlang im ständigen Auf und Ab entlang der Bergkämme, vorbei an kleinen Almen. Ein paar häßliche Skilifte mit den entsprechenden Unterkünften unterbrachen die Idylle und zeugten vom Wintersportbetrieb. Doch schon kurz nach dem Passo Maniva war die Strecke wieder schöner. Die Straße wurde zu einer holprigen, schmalen, oft unbefestigten Schotterpiste durch eine traumhaft schöne Landschaft. Im Süden verlor sich der Blick im Dunst über der Poebene und grüne Bergkämme wechselten mit lichten Laubwäldern ab. Um die Ausblicke zu genießen musste ich jedesmal anhalten, denn immer wieder kamen neben der Schlaglöcher auf der engen Straße auch Motorräder oder Jeeps flott um die Ecke gefahren, so dass man voll konzentriert fahren musste. Irgendwann wurde aus der Piste wieder eine holprige, aber zumindest asphaltierte kleine Bergstraße, die weiter bergab führte.

Die Zikaden zirpten vernehmlich und es wurde immer heißer, als der Lago d`Idro tief unter mir wie ein kleiner, grün schimmernder Fjord in der Ferne zwischen den Bäumen auftauchte. Nach ein paar letzten steilen Serpentinen bergab stand ich in der Ortschaft Anfo am Seeufer und war wieder zurück im geschäftigen Treiben. Es war erst früher Nachmittag und als Tagesziel hatte ich mir den Lago di Ledro ausgesucht, also füllte ich meine Trinkflaschen am nächsten Brunnen auf und fuhr weiter.

Erfreulicherweise konnte ich die stark befahrene Hauptstraßen immer wieder verlassen und gelangte überwiegend auf gut angelegten Radwegen bis zum Lago di Ledro. Dort steuerte ich den ersten Zeltplatz an, in der Hoffnung noch einen Platz zu finden. Ihr erratet es, ich hatte wieder Erfolg. Zwar war der Campingplatz komplett voll und der Stellplatz zwischen den großen Wohnmobilen wenig schön, doch es gab einen direkten Zugang zum See. Das wohlverdiente Bad ließ ich mir nach so einem schweißtreibenden Tag natürlich nicht nehmen.

Am kommenden Morgen startete ich wieder früh, kaufte noch reichlich Proviant in einem Supermarkt ein und umrundete den See auf einer Nebenstraße mit wenig Verkehr. Es folgte ein kurzer Anstieg, bis ich auf die bekannte Ponale-Straße abbiegen konnte. Das ist die alte Passstraße, die vom Lago di Ledro zum Lago di Garda hinunterführt. Große Teile davon waren eine Schotterpiste, die stellenweise auch etwas lose war, so dass ich mit meinem Gravelbike vorsichtig fahren musste. So spektakulär die Ausblicke auf den Gardasee auch waren, so froh war ich doch, diesen Abschnitt bald hinter mir gelassen zu haben, denn es kamen mir ganze Flotten an E-MTB-Bikes und Gruppen von Wanderern entgegen. 

Ich erreichte das Ufer des Gardasees kurz vor Mittag und legte im Schatten einer Platane eine ausgiebige Mittagspause mit Blick auf den See ein. Was für ein schönes Finale meiner Transalp!

Zurück nach München

Doch halt, ganz am Ziel war ich noch nicht. Ich hatte keinen Plan, wo ich heute übernachten sollte, alle Zeltplätze waren hoffnungslos überfüllt und außerdem wollte ich in 3-4 Tagen wieder zurück bis nach München fahren. Durch das schlechte Wetter zum geplanten Start meiner Tour fehlte mir jetzt die Zeit, um der ursprünglich geplanten Route über Slowenien zu folgen. Spontan änderte ich meine Route ab. Ich entschied mich, dem Etschradweg über Rovereto, Trento, Bozen hinauf zum Brennerpass zu folgen. Die Strecke kannte ich bereits von früheren Touren. Der Radweg ist perfekt ausgeschildert und verläuft überwiegend sehr flach auf den Dämmen entlang des Flusses. So bieten sich immer wieder schöne Ausblicke über die umgebenden Berge und die Obstplantagen. Nach den intensiven letzten Tagen in den Bergen freute ich mich tatsächlich auf ein paar leichte, flache Kilometer und startete beschwingt.

Der Radweg war zwar angenehm flach, nur fehlte mir an dem Tag der Schatten. Es war schwülheiß und ich fühlte mich wie fast wie in einem Backofen, während sich über den Bergen links und rechts des Tals mächtige Haufenwolken aufbauten. Nahe Trento stieß ich auf einen kleinen, schattigen Zeltplatz neben der Strecke, der mir nach der Gluthitze im Tal fast wie eine Oase erschien. Spontan entschied ich mich, dort zu übernachten. Ich kochte mir gerade noch mein Abendessen zubereiten, als ein kräftiges Gewitter durchzog. Die Entscheidung, hier zu bleiben war also genau richtig gewesen.

Der nächste Morgen dämmerte langsam heran, doch ich lag schon lange wach im Zelt. Die Nachtruhe war viel zu kurz gewesen, denn der Lärm durch die Bundesstraße auf der einen Seite des Campingplatzes, sowie eine unmittelbar angrenzende Bahnstrecke auf der anderen Seite war ermüdend. Irgendwie war mir das am Vorabend zu spät bewusst geworden, sonst wäre ich wahrscheinlich weiter gefahren. Noch müde, aber trotzdem gut gelaunt, schwang ich mich in der angenehmen Morgenkühle in den Sattel und folgte wieder dem Radweg in Richtung Bozen. Die Etsch war braun gefärbt, Äste und jede Menge Treibgut trieben in den Fluten, offensichtlich waren die Gewitter in der Nacht über den nahen Bergen ziemlich heftig gewesen. Nach wenigen Metern begegnete mir ein Italiener auf seinem Gravelbike, der in der gleichen Richtung unterwegs war. Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass wir das gleiche Ziel hatten, München! Die kurze Nacht war bald vergessen, denn wir radelten fast den kompletten Radweg gemeinsam weiter. Jeder erzählte von seinen Erlebnissen der vergangenen Tage und freute sich, auf einen Gleichgesinnten getroffen zu sein.

Wir kamen flott voran und waren schon vor dem Mittag in Bozen für einen Caféstop. Es war wieder richtig heiß geworden, doch anders als am Vortag ging es ab jetzt immer wieder im Schatten dahin und fast schon gemütlich bergauf in Richtung Brenner. Wir gönnten uns noch ein Mittagessen in einer Pizzeria in Klausen, bis sich unsere Wege trennten. Er hatte ein sich dort ein Hotelzimmer vorgebucht und ich wollte noch ein Stück weiter fahren. Am frühen Abend erreichte ich schließlich Sterzing, deckte mich mit frischen Lebensmitteln ein und wollte eigentlich auf dem dortigen Campingplatz übernachten. Doch diesmal hatte ich Pech, der Campingplatz existierte nicht mehr und die Stadt war natürlich voller Touristen. Wo sollte ich übernachten? Inzwischen war es schon recht spät geworden, bis über den Brennerpass würde ich es vor der Dunkelheit nicht mehr schaffen. Ich fragte bei einem Restaurant nach, ob ich hier irgendwo mein Zelt aufbauen könnte. Nach einer kurzen Diskussion konnte ich es schließlich auf ihrem Parkplatz direkt neben der Hauptstraße aufbauen. Ein schöner Platz sieht zwar anders aus, aber ich war müde genug und wollte nur noch essen und schlafen. Wie gut, dass ich ein paar Kilometer zuvor einen extra Wasserbeutel an einer Quelle aufgefüllt hatte. So hatte ich genug Wasser fürs Kochen und die Nacht.

Der nächste Morgen dämmerte heran und ich hatte trotz des Verkehrs relativ gut geschlafen. Zu essen hatte ich genug und so machte ich mich über ein Packung Müsli mit Obst her. Nach einem großen Becher heißen Kaffees war ich dann hellwach und voller Freude auf den letzten Tag meiner Tour. Ich wollte heute so weit es ging über Innsbruck und den Achensee bis nach Lenggries fahren und für die letzten Kilometer zurück nach München den Regionalzug nehmen. Der Wetterbericht versprach zwar einen sehr warmen Tag, doch ab dem Nachmittag sollten teils starke Gewitter aufziehen. Es hieß also Tempo machen! 

Ich legte in Sterzing`s Altstadt einen letzten Stopp in einer Bäckerei ein, um mich mit frischer Pizza und einem großen Stück Apfelstrudel einzudecken, dann begann der Anstieg zum Brennerpass. Dieser verlief in weiten Teilen auf einer ehemaligen Bahnstrecke, so dass die Steigungen meist sehr moderat waren, nur muss man ein paar Umwege in Kauf nehmen. Ich kürzte ein paar Kilometer ab und folgte der Brenner-Bundesstraße, denn ich wollte zügig vorankommen. Kurz vor dem Brenner legte ich eine letzte längere Pause ein, um zu essen und mein Zelt und die Ausrüstung in der Sonne zu trocknen. Bald ging es weiter und auf der Bundesstraße über den Brenner und bis Innsbruck. Ich war jetzt so richtig motiviert, heute Nacht noch bis München zu kommen, also legte ich dort nur eine kurze Pause ein. Auf dem gut beschilderten Innradweg ging es flott dahin bis Jenbach, dem Abzweig zum Achensee. Steil führte die Straße bergauf, es war heiß und windstill, so dass mir der Schweiß wieder in Strömen über den Körper lief. Doch die Aussicht auf ein baldiges Bad im See motivierte mich. Wie ein Fjord lag der Achensee schließlich vor mir, das tiefblaue Wasser funkelte in der Sonne und ein kräftiger Wind blies mir entgegen, als ich am Ufer stand.

Die Erfrischung und eine kurze Pause taten gut, doch die Zeit drängte. Es war bereits Nachmittag und über den Bergen wuchsen die Wolken zu stattlichen Gebilden heran. Bis Lenggries lagen noch einige Kilometer vor mir, also trat ich bald wieder in die Pedale. Zum Glück gab es ab jetzt fast durchgängig gut beschilderte Radwege, die meistens sogar asphaltiert waren. Trotz Gegenwind und ein paar kurzer Anstiege kam ich weiterhin gut voran. Erst kurz vor dem Sylvensteinstausee streifte mich ein Regenschauer. Der Himmel war schwarz, aber trotzdem war es in der Ferne hell, was eine wilde Stimmung erzeugte. Windböen fegten über die Wasseroberfläche und wirbelten das Laub auf, so dass es sich fast anfühlte wie vor einem herannahenden Herbststurm im Oktober. Ich warf einen Blick auf die Wetter-App, überall um mich herum waren Regenschauer und Gewitterzellen, nur im Tal Richtung Lenggries war es noch trocken. Irgendwie verrückt dachte ich mir, doch das konnte sich schnell ändern und vor Gewittern, zumal in den Bergen, habe ich wirklich Respekt. Noch 20 km bis zum Bahnhof lagen vor mir und ich trat mit Vollgas in die Pedale. Zwar war ich nach dem langen Tag allmählich müde, doch zugleich voller Euphorie, denn das Ende einer unglaublich abwechslungsreichen und eindrücklichen Transalp war zum Greifen nahe. Das wilde Wetter passte irgendwie perfekt zum Abschluss der Tour. Ich erreichte schließlich kurz vor 20 Uhr in der Abenddämmerung den Bahnhof und stieg in den Zug. Um mich herum donnerte es und Blitze zuckten über den Berggipfeln und ich bekam eine Gänsehaut, was für ein Finale! Nach 8 Tagen, 745 km und 12475 hm war ich zurück.

Sylvensteinstausee
Sylvensteinstausee

Steckbrief der Tour und GPX-Daten

Die Anreise zur Tour ist denkbar einfach, denn sie startet und endet jeweils an Bahnhöfen nahe von München. Das ideale Rad für die Strecke ist ein Gravelbike mit breiteren Reifen, da der größte Teil auf Asphalt oder gut fahrbaren Schotterstraßen verläuft. Allerdings sollte die Übersetzung bergtauglich sein, gerade wenn man mit mehr Gepäck unterwegs ist. Auch ein leichtes MTB-Hardtail ist für die Offroad-Abschnitte eine gute Wahl. Konditionell ist die Tour fordernd und manchmal ist sogar etwas Fahrtechnik auf den Singletrail-Abschnitten gefordert, doch die schöne Natur entschädigt für die Anstrengungen. Durch die Höhe der Pässe in den Bergen ist selbst im Sommer warme Kleidung samt Regenkleidung ratsam, denn das Wetter kann schnell umschlagen.

 

Den GPS-Track zur Tour in Komoot findet Ihr hier: 

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